Die 41. Passionsspiele in Oberammergau beschritten neue technische Wege und setzten erstmalig in der knapp 400-jährigen Tradition auf eine elektroakustische Unterstützung, kombiniert mit einem digitalen Vivace-System zur virtuellen Erzeugung eines Raumklangs. Das Raumklangsystem Vivace dient in der Regel in zu kleinen oder akustisch zu trockenen Räumen der Verbesserung der Konzertakustik. In dem großen Passionsspielhaus mit der breiten Open-Air-Bühne wird es zum ersten Mal nicht nur zur Schaffung einer Konzertsaalakustik eingesetzt, sondern darüber hinaus noch zur qualitativ herausragenden, richtungsgetreuen Sprachverstärkung.
Der Veranstalter beauftragte mit Neumann & Müller Veranstaltungstechnik einen renommierten Partner für die Beschallung, der schon in der frühen Planungsphase die Notwendigkeit für ein Vivace-System erkannte: „Rein aus technischer Sicht war von Beginn an klar, dass wir hier eine Beschallungsanlage brauchen, um den heutigen Anforderungen der Zuschauer an hohe Sprachverständlichkeit und eindrucksvollen Klang gerecht zu werden. Andererseits aber bestand seitens des Veranstalters und besonders des Dirigenten große Sorge, dass eine Beschallung künstlich klingen würde. Um diesem Effekt wirksam vorzubeugen, haben wir uns für eine Raumklangverbesserung mit Hilfe von Vivace entschieden“, erläutert Rudolf Pirc von Neumann & Müller.
Von April bis Oktober, bei mehr als 100 Aufführungen und vorher schon bei zahllosen Proben, simulierte Vivace für die Zuschauer einen akustisch tragfähigen Raum, der in Wirklichkeit nicht einmal ansatzweise vorhanden ist. Die Bühne steht nämlich traditionell im Freien und lediglich die Zuschauer sind unter einer großzügigen Überdachung untergebracht. Über zahlreiche fest installierte und nur wenige drahtlose Mikrofone wird dazu das Bühnengeschehen und die Musik im Orchestergraben aufgenommen und in Vivace analysiert und bearbeitet.
Über ein sorgfältig eingerichtetes Lautsprecher-Setup werden die bearbeiteten Signale wieder eingespielt, so dass ein eindrucksvoller und natürlicher Raumklang für das Symphonieorchester, den Chor und die Solisten entsteht.
Bei dem Einsatz in Oberammergau wurde die Funktionalität des Vivace allerdings noch erweitert. Um auch eine richtungsbezogene Beschallung zu ermöglichen, können die Mikrofone und Lautsprecher individuell verzögert und im Pegel geregelt werden. Über eine Fernbedienung werden sie teilweise dynamisch verändert, um auch bei bewegten drahtlosen Mikrofonen die für ein natürliches Klangbild wichtige richtungsgetreue Verstärkung zu gewährleisten.
Der Rückblick fällt nach nunmehr fünf Monaten Open-Air-Einsatz sehr positiv aus. Dank Vivace und der herausragenden Leistung der Tonmeister vor Ort punktete die Veranstaltung erstmals in seiner jarhundertelangen Geschichte der Passionsspiele auch in Bezug auf die Sprachverständlichkeit und Durchsichtigkeit und erfüllte damit auch die heutigen Anforderungen an eine moderne Großveranstaltung.
Über Vivace
Vivace ist ein modernes elektronisches Raumakustiksystem, das in jedem Raum oder sogar Open-Air einen perfekten Raumeindruck bietet. Ein Vivace-System besteht aus wenigen Mikrofonen, dem Mainframe, einer Audiomatrix, überwachten Mehrkanal-Digitalverstärkern und Lautsprechern. Das aufgenommene Bühnengeschehen wird in Vivace analysiert, bearbeitet und in Echtzeit über zuvor exakt positionierte Lautsprecher wiedergegeben. Durch den patentierten Algorithmus stellt Vivace nahezu jeden Raumcharakter akustisch äußerst real dar. Einem zu kleinen, zu stark bedämpften oder bei Open-Air-Veranstaltungen sogar gar nicht vorhandenen Raum verleiht Vivace die fehlenden akustischen Eigenschaften. Der Höreindruck einer vorbildlichen Konzertsaalakustik oder eines gewünschten Raumeffektes entsteht – dauerhaft oder für nur eine Veranstaltung. Darüber hinaus lassen sich mit Vivace auch Quellen und Effekte ausspielen und dreidimensional durch den Raum bewegen. Vivace gewährleistet eine hohe Detailtreue, bestes Transientenverhalten und eine außergewöhnlich hohe Rückkopplungssicherheit. Es entsteht ein homogener und völlig natürlicher Raumklang, der in einzigartiger Flexibilität exakt den jeweiligen raumakustischen Anforderungen angepasst werden kann.
Über die Passionsspiele
Um göttlichen Schutz vor der Pest zu erhalten, wurden die Passionsspiele in Oberammergau1633 eingeführt. Alle zehn Jahre, so das Gelübde, führen die Bewohner der kleinen bayerischen Gemeinde seither die Passion Christi auf. Für die Bewohner des Städtchens bedeuten diese Aufführungen, dass sie den Proben und den 102 Spieltagen nahezu ein Jahr widmen, die für sie bei Wind und Wetter vollkommen im Freien stattfinden.
Die rund 4.700 Zuschauer sitzen bei der fünfstündigen Aufführung überdacht. Bei Regen kann der Orchestergraben vollständig unter die Bühne geschoben und in diesem Jahr erstmalig auch ein Regenschutz für die bis zu 800 Mitwirkenden über die Bühne gefahren werden. Das alles klingt nach sehr schwierigen akustischen Verhältnissen, und genauso verhält es sich auch.
Jahrhundertelang wurden bei den Aufführungen stets die gleichen beziehungsweise den Zuhörern aus der Bibel geläufige Texte verwendet; auf Sprachverständlichkeit kam es dabei nicht wirklich an. In diesem Jahr, bei den 41. Passionsspielen, sollte das jedoch anders sein. Inzwischen sind die Spiele zu einem echten, international beachteten Großereignis angewachsen, bei dem auch viel Wert auf eine lebendige Inszenierung und ein imposantes musikalisches Klangbild gelegt wird. Und natürlich sollen die Besucher möglichst alle den Text verstehen, ohne im Textbuch mitlesen zu müssen. Deshalb erhalten die Oberammergauer Passionsspiele in diesem Jahr erstmalig eine elektroakustische Unterstützung.
Trotz der eindeutigen Argumente waren die Beteiligten vorab durchaus skeptisch, ob diese Anforderungen mit dem obersten Ziel einer natürlichen Klangwiedergabe vereinbar sein würden. Mit der verwendeten elektroakustischen Anlage, fachmännisch von Neumann & Müller Veranstaltungstechnik und Müller-BBM geplant und betrieben, konnten diese Anforderungen hervorragend gleichzeitig erfüllt werden, wie auch zahlreiche Zuschauerkommentare belegen. Die Oberammergauer Passionsspiele 2010 fanden an 102 Spieltagen vom 15. Mai bis zum 3. Oktober 2010 statt.
