Kinetik im Wandel

28.02.2011

Ein Beitrag von Movecat / Think Abele zu Grundlagen und Vorschriften im Umgang mit Lasten.

Medienproduktionen und -inszenierungen beeindrucken immer mehr mit kinetischen, szenischen Elementen. Oftmals wird tonnenschweres Equipment bewegt - zunehmend im Einsatz über Menschen. Eine gezielte Risikoanalyse und -auswertung im Vorfeld sowie die daraus resultierenden Maßnahmen zur funktionalen Sicherheit sind wichtige Bausteine, die zu berücksichtigen sind. Für den Einsatz von bewegungsdynamischer Veranstaltungstechnik gilt die exakte Einhaltung der Sicherheitsvorschriften gemäß der Maschinenrichtlinie, BGV und des „igvw SQ P2“- Standards. Nachfolgend bieten wir einen Einblick in die aktuellen Grundlagen, Verordnungen und Vorschriften.

Oft werden bei aktuellen Show- und Musikformaten schwere Lasten, wie zum Beispiel „fliegende“ Videowürfel, Lichttraversen oder auch Menschen bewegt und gesichert. Fehlfunktionen gefährden Gäste und Darsteller sowie den Ablauf und das Ergebnis einer Show, da Szenenwechsel meist elementare Funktions- beziehungsweise Showelemente sind. Eine Videowand zum Beispiel, die sich nicht öffnet, um den nächsten Künstler einzulassen, kippt die gesamte Show. Vor allem der technische Part stellt höchste Ansprüche an die Sicherheit. Für eine perfekte Symbiose aus kreativer Funktion und Sicherheit ist die professionelle Planung und Ausstattung sowie die Erfüllung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten erforderlich. Wenn etwa ein Technikelement, eine Dekoration oder ein Künstler über andere Menschen hinweg „schweben“ soll, müssen hochkomplexe Sicherungsvorkehrungen getroffen werden.

Richtlinien, Gesetze & Co.

Das Geräte- und Produktgerätesicherheitsgesetz regelt in Deutschland das Inverkehrbringen und Ausstellen von Produkten, das selbstständig im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung erfolgt sowie die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen, die gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen oder durch die Beschäftigte gefährdet werden können.

Laut Gesetz darf ein Produkt nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es so beschaffen ist, dass bei bestimmungsgemäßer Verwendung oder vorhersehbarer Fehlanwendung Sicherheit und Gesundheit von Verwendern oder Dritten nicht gefährdet werden.

Anforderungen an den Arbeitgeber beziehungsweise Unternehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Bereitstellung von kraftbetriebenen (somit auch kinetischen) Antrieben, Hebezeugen und deren Benutzung sind insbesondere in den § 3, 4, 7 und 11 der Betriebsverordnung (BetrSichV) sowie in den Unfallverhütungsvorschriften BGV D8 und D9 sowie BGV C1/GUV-V C1 „Veranstaltungs- und Produktionsstätten für szenische Darstellung“ geregelt.

Kraftbetriebene Antriebe und Hebezeuge fallen zusätzlich in den Anwendungsbereich der europaweit geltenden Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, der Maschinenverordnung (Neunte Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz), der Niederspannungsverordnung und der EMV-Richtlinie 2004/108/EG über die elektromagnetische Verträglichkeit.

Verschärfte Anforderungen gemäß Maschinenrichtlinie 2006/42/EG

Für alle Maschinen und deren Anwendung ist seitens der Hersteller, Inverkehrbringer und Errichter eine Risikoanalyse zu erstellen. Zur Vermeidung von Unfällen und Verletzung von Personen sind entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Wenn ein Hersteller, Inverkehrbringer, Errichter oder Betreiber mehrere bewegliche Komponenten, wie zum Beispiel Winden, Elektrokettenzügen, Traversen, Videowänden und Scheinwerfern zu einem funktionalen Gesamtsystem kombiniert, montiert und betreibt, erreicht er nach den Grundlagen der Maschinenrichtlinie den Status eines Herstellers beziehungsweise Inverkehrbringers, da er in Summe eine Gesamtmaschine mit einer eigenständigen Funktion errichtet. Es gelten daher auch hier für den Errichter die Maßgaben der Maschinenrichtlinie in vollem Umfang. Gemäß der seit Januar 2010 geltenden neuen Maschinenrichtlinie gilt das sogar für Maschinen, die der Betreiber für den reinen Eigengebrauch herstellt und betreibt. Der Hersteller/Betreiber hat hier ebenfalls eine Risikoanalyse sowie eine vollständige Dokumentation samt eigenständiger Konformitätsbescheinigung zu erstellen.

Gefährdungen ermitteln gemäß UVV BGV C1

Bei der Errichtung und dem Betrieb von maschinentechnischen Einrichtungen müssen alle Gefährdungen, Gefahrensituationen und Gefährdungsereignisse ermittelt werden, die im Zusammenhang mit dem Einsatz auftreten können.

Für spezifische Gefährdungen sind nach Abschätzung des Risikos die entsprechenden Maßnahmen festzulegen. Die Analyse beruht auf der „Liste der signifikanten Gefährdungen“ (DIN EN ISO 14121-1). Maßgeblich sind hier die Vorschriften der Berufsgenossenschaften bzw. Unfallversicherer – in diesem Falle der BGV C1/GUV-V C1. Die UVV BGV C1/GUV-V C1 gilt für den bühnentechnischen und darstellerischen Bereich von Veranstaltungsstätten, den produktionstechnischen und darstellerischen Bereich von Produktionsstätten für Film, Fernsehen, Hörfunk und Fotografie.

Sicherung gegen unbeabsichtigte Bewegungen Schutzziele der UVV „Veranstaltungs- und Produktionsstätten für szenische Darstellung“ sind das Verhindern von unbeabsichtigten Bewegungen und Kollisionen sowie gefährlichen Auswirkungen des ersten auftretenden Fehlers. Bewegliche Einrichtungen der Ober- und Untermaschinerie mit ihren Lasten müssen Sicherungen gegen unbeabsichtigte Bewegungen enthalten. Zur Sicherung gegen unbeabsichtigte Auf- und Abwärtsbewegungen von Einrichtungen der Ober- und Untermaschinerie mit ihren Lasten müssen geeignete Triebwerke, Bremsen oder Gegengewichte in Verbindung mit Feststelleinrichtungen vorhanden sein. Es sollten Einrichtungen vorhanden sein, die beim Auftreten eines Fehlers die bewegten Laste n zum Stillstand bringen.

Abweichend von Absatz 3 der UVV müssen Bewegungsvorgänge von sicherheitstechnischen Einrichtungen bestimmungsgemäß ablaufen können. Entsprechende Maßnahmen sind Betriebsanweisungen, die laufende Beobachtung der Maschinentechnik im Betrieb, Hilfseinrichtungen, Warnposten, Anforderungen an Personen sowie die Instandhaltung. Gefährliche szenische Vorgänge sind unter Anwendung von Schutzmaßnahmen durchzuführen und ausreichend zu proben. Der Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass bei gefährlichen szenischen Vorgängen nur fachlich und körperlich geeignete Personen eingesetzt werden. Künstlerische Forderungen hinsichtlich der Dekoration und Darstellung dürfen nicht realisiert werden, wenn die Bühnen- und Studiofachkraft aus Sicherheitsgründen Einwendungen gegen diese erhebt.

Maschinen bestimmungsgemäß verwenden

Als Richtwerte für angemessene maximale Geschwindigkeiten von maschinentechnischen Geräten gilt:

- ohne Personen 1,2 m/s,
- mit Personen 1,0 m/s und 0,7 m/s auf Versenkeinrichtungen
  0,3 m/s mit Zu- und/oder Abgang während der Bewegung
  (ausgenommen Versenkeinrichtungen).

Das Modell der Sicherheit beruht auf den in Wechselbeziehung zueinander stehenden Faktoren Technik, Organisation und Verhalten.

Die Risikobeurteilung erfolgt über die vier Einzelschritte

– Grenzen des kinetischen Systems
– Gefährdungsanalyse
– Risikoeinschätzung sowie
– Risikobewertung

Alle in der Praxis zu ergreifenden Maßnahmen führen schlussendlich zur Sicherheit des Gesamtsystems.

Für Maschinen gelten:

– DIN 56950: Veranstaltungstechnik, Maschinentechnische
   Einrichtungen, sicherheitstechnische Anforderungen und Prüfung

– DIN EN ISO 12 100-1 Teil 1: Sicherheit von Maschinen; Grundbegriffe
   allgemeine Gestaltungssätze Teil 2: Technische Leitsätze

EN 14121-1: Sicherheit von Maschinen und Leitsätze zur Risikobeurteilung

Für Steuerungen gelten:

– DIN EN 60204-1: Sicherheit von Maschinen; Elektrische Ausrüstung;
   Allgemeine Anforderungen

– DIN EN 60204-32: Sicherheit von Maschinen; Elektrische Ausrüstung
   von Maschinen; Teil 32: Anforderungen für Hebezeuge

– DIN EN ISO 13849-1: Sicherheit von Maschinen;
   Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen; Teil 1: Allgemeine
   Gestaltungsgrundsätze

– DIN EN 62061: Sicherheit von Maschinen; Funktionale Sicherheit
   sicher heitsbezogener elektrischer, elektronischer,
   programmierbarer elektrotechnischer Steuerungssysteme

– DIN EN 61508: Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener
   elektrischer/elektronischer/programmierbarer elektronischer
   Systeme

Zum Erreichen der Schutzziele müssen Schutzfunktionen von den mechanischen und elektrischen sowie elektronischen Einrichtungen übernommen werden.
Funktionale Sicherheit bezeichnet den Teil der Sicherheit eines Systems, der von der korrekten Funktion der sicherheitsbezogenen (Sub-) Systeme und externer Einrichtungen zur Risikominderung abhängt. Da Sicherheit auch erreicht wird, wenn die bestimmungsgemäße Funktion notfalls eingestellt und ein sicherer Zustand eingenommen wird, spricht man auch von der Sicherheitsintegrität des Systems

Sicherheits-Integritäts-Level (SIL)

Der Sicherheits-Integritätslevel (SIL; Sicherheitsanforderungsstufe) wird zur Beurteilung elektrischer/elektronischer/programmierbar elektronischer (E/E/PE)-Systeme in Bezug auf die Zuverlässigkeit von Sicherheitsfunktionen genutzt. Aus dem angestrebten Level ergeben sich die sicherheitsgerichteten Konstruktionsprinzipien, die eingehalten werden müssen, damit das Risiko einer Fehlfunktion minimiert werden kann. In der Sicherheitsnorm DIN EN 61508 wird der SIL wie folgt definiert:

Vier diskrete Stufen zur Spezifizierung der Anforderung für die Sicherheitsintegrität von Sicherheitsfunktionen, die dem E/E/PE-sicherheitsbezogenen System zugeordnet werden, wobei der Sicherheits-Integritätslevel 4 die höchste Stufe der Sicherheitsintegrität und der Sicherheits-Integritätslevel 1 die niedrigste darstellt.

Um die Sicherheitsanforderungen von Fall zu Fall festzulegen, wurden folgende vier Risikoparameter zur sinnvollen Risikoabstufung definiert:

1. Risikoparameter der Häufigkeit und Aufenthaltsdauer,
2. Wahrscheinlichkeit des unerwünschten Ereignisses,
3. Risikoparameter der Möglichkeit den Vorfall zu vermeiden und die
4. Risikoparameter der Auswirkung.

Der SIL bezieht sich immer auf das Gesamtsystem. Jede Komponente in einem Systemverbund muss dem ermittelten Sicherheits-Integritätslevel entsprechen. Alle rechnergestützten BGV C1-Steuersysteme, die sicherheitsrelevante Aufgaben zum Erreichen der Schutzziele (zum Beispiel Gruppenfahrt, Synchronfahrten) erfüllen, müssen gemäß DIN 56950 den DIN EN 61508-Vorgaben entsprechen und für den sich aus der Anwendung ermittelten Sicherheits-Integritätslevel ausgelegt sein.

Weiter Gesichtspunkte

Bei der Dimensionierung aller tragenden Teile und Lastaufnahmepunkte sind ergänzend die Eigengewichte der Hebezeuge (z.B. Kettenzüge im Kletterbetrieb) sowie die dynamischen Faktoren aus dem Betrieb als auch im Fehlerfall (z.B. bei Stromausfall) zu berücksichtigen. Dynamische Faktoren stehen in Abhängigkeit der Geschwindigkeiten und Bremsmomente.

Bei Personenflugwerken oder -bewegungen ist für die Rettung der Darsteller bei allen möglichen Fehlererscheinungen und Ausfällen (auch bei Stromausfall) zu sorgen.

Prüfung, Aufsichtspflicht und Haftung

Der Anwender/Betreiber hat eigenständig für die vorgeschriebenen Prüfungen zu sorgen. Er darf Leitung und Aufsicht der Arbeiten in Veranstaltungs- und Produktionsstätten nur qualifizierten Fachkräften übertragen und hat dafür zu sorgen, dass vor Nutzung der Veranstaltungs- oder Produktionsstätten durch Dritte die Zuständigkeit hinsichtlich Leitung und Aufsicht festgelegt wird. Mit Aufführungen, Aufnahmen und Proben darf erst begonnen werden, nachdem der Aufsichtführende die Szenenflächen freigegeben hat. Produktions- bzw. Betriebsregelungen sind die Bereitstellung von qualifiziertem Personal, Unterweisungen, Schutzausrüstungen, Aufenthaltsverbote sowie sonstige Schutzmaßnahmen.

Die Haftung bei deliktrechtlich unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB) erfolgt bei vorsätzlichem Verschulden, bei grober und einfacher Fahrlässigkeit sowie bei rechts- oder pflichtwidrigem und subjektiv vorwerfbarem Handeln. Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines Anderen widerrechtlich verletzt, ist dem Anderen zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Das geht bis zur privatrechtlichen Durchgriffshaftung. Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt.

Branchenstandards als hilfreiche Lektüre

Beachtet der Betreiber von Produktionsstätten die Vorschriften und Standards und wählt dementsprechend qualifizierte Fachfirmen und Personal aus, kann er sich über eine sichere und funktionierende Umsetzung freuen, bei Mißachtung drohen Fehlfunktionen bis hin zu fatalen Auswirkungen für Leib und Leben. Auch bei Eigenkonstruktionen und Ideen sind Vorschriften und Vorgaben zu beachten, die oft im Aufwand und in der Haftung unterschätzt werden. Hilfreich sind Branchenstandards, die zum Beispiel vom UVR, VPLT und igvw herausgegeben werden. Sie repräsentieren den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik und geben eine praxisnahe Vorgehensweise sowie wesentliche Punkte zur Beachtung an die Hand. Weitergehend bieten branchenspezifische Informationsschriften der Berufsgenossenschaften eine hilfreiche Lektüre und Anleitungen für die sichere tägliche Arbeit.


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