Wie kümmert sich die ISDV um die Belange der Selbstständigen in der Veranstaltungsbranche? Ein Interview mit dem Vorsitzenden Marcus Pohl.
Marcus Pohl ist absolut kein klassischer Verbandsfunktionär. Derzeit ist er als Produktionsleiter unterwegs mit Sunrise Avenue und damit schon fast für alles der Ansprechpartner, was auf Tour so passiert. Trotzdem hat er die Zeit gefunden für dieses Interview, weil ihm das Thema ganz offensichtlich unter den Nägeln brennt.
Braucht die Branche noch einen Verband? Fragen an Marcus Pohl, den 1. Vorsitzenden der isdv; Foto: Torsten Hilse.
DieReferenz: Ihr nennt Euch "Interessengemeinschaft der selbstständigen DienstleisterInnen in der Veranstaltungswirtschaft e.V." ...
Marcus Pohl: Richtig. Wir sind der Berufsverband der Eventdienstleister – gewerkeunabhängig. Wir möchten eine Lobby mit allen Dienstleistern dieser Branche bilden.
Seit wann gibt es den Verband denn schon?
Pohl: Wir haben am 10.02.2015 vom Landgericht Offenbach die Eintragung in das Vereinsregister erhalten. Nach aller bürokratischer und basisorganisatorischer Arbeit sind wir am 17.03.2015 mit Pressemitteilung und Facebook-Post an die Öffentlichkeit gegangen.
Wie viele Leute sind inzwischen beigetreten?
Pohl: Aktuell zählt die ISDV 206 Mitglieder. (Stand: 10.07.2015)
Wo seid Ihr aufgetreten?
Pohl: Zu allererst natürlich im Internet. Wir betreiben eine eigene Hompage und sind auch auf den sozialen Netzwerke Facebook, Twitter und LinkedIn vertreten. Im April hatten wir einen Stand auf der Prolight + Sound 2015. Dort konnten wir viele Kontakte mit Interessierten und anderen Verbänden knüpfen und auch einen Stapel ausgefüllter Mitgliedsanträge mit nach Hause nehmen. Der Zuspruch hat uns wirklich sehr gefreut.
Mit wem wurde gesprochen?
Pohl: Presseseitig haben wir mittlerweile einen umfangreichen Verteiler. Darin sind alle Branchenzeitschriften und -portale enthalten, aber auch die großen Nachrichtenagenturen, Boulevardblätter, Tageszeitungen und TV-Magazine.
Wir sind mit einer Reihe anderer Verbände in Kontakt und im Austausch, zum Beispiel der VGSD, dem VPLT, der DTHG, aber auch mit einer Reihe Technikverleihern und Produktionsfirmen im Tournee- und Industriesektor. Unsere Gesprächsplattform wächst ständig an und wir limitieren sie in keiner Weise. Auch branchenfremde Kontakte sind für uns interessant und wichtig. Die Plattform kann nicht groß genug sein.
Wie war die Resonanz auf der Prolight + Sound und auf der Stage Set Scenery?
Pohl: Überwältigend. Wir haben auf der Prolight zehn Stunden am Stück Gespräche mit sehr sehr vielen Leuten unterschiedlichster Herkunft und verschiedenster Interessen gesprochen. Pausen waren trotz fünf Ansprechpartnern am Stand kaum möglich.
Viele Techniker, aber auch Hersteller und Verleiher haben angedockt. Auf der Stage Set Scenery konnten wir uns leider nicht präsentieren. Dazu war unser Startbudget zu klein. Beim nächsten Mal wird dies aber anders sein.
Es geht ja in der Branche sehr viel um Ein-Personen-Gesellschaften, aber die sind ganz unterschiedlich. Das reicht vom einfachen Helfer bis zu Leuten wie Florian Wieder oder Jerry Appelt. Wo haben alle die gleichen Interessen, wo sind die völlig unterschiedlich?
Pohl: Stagehands oder Helfer gibt es ja nun leider nicht mehr als Selbstständige. Die Interessenüberschneidung liegt in der Tatsache, dass die Mitglieder selbstständig sind.
Was der Einzelne dabei in der Veranstaltungswirtschaft leistet, ist für uns nur statistisch von Belang. Wir sind Berufsverband für Veranstaltungsdienstleister, egal, welche Leistung erbracht wird.
Wir sind gewerke- und spartenfrei. Vom Astrologen, der dem Musiker die Karten legt, über Backliner, Merchandiser, freie Booker, Tourmanager, Produktionsleiter, Pyrotechniker, Laserschutzbeauftragte, Meister, Carpenter, Caterer, Bühnenbauer, Fahrer, Dekorateur, Security, Zeltbauer, …. name it. Für Selbstständige in der Branche sind wir der Berufsverband.
Gibt es da irgendwelche Tarifverträge, stehen irgendwo Regeln, wer für welche Leistung wie viel bezahlt bekommt?
Pohl: Nein. Es gibt keine Institution in der Branche, die einen Tarifvertrag aushandeln könnte. Mit wem auch? Einen Arbeitgeberverband gibt es ja auch nicht.
Tarifverträge wären für uns aber auch nur als Referenz interessant. Wenn laut eines Tarifvertrages eine Summe bezahlt werden würde, könnten wir uns daran orientieren und den Salaire eines Selbstständigen ableiten. Wobei natürlich ein Selbstständiger eine ganze Reihe an Nebenkosten kalkulieren muss, die in diese Position einfließt.
Einige unserer Mitglieder sind natürlich auch als freie Mitarbeiter beim Rundfunk oder in Theatern aktiv, da bietet sich in jedem Fall zum Beispiel ein Blick in die Tarifverträge des öffentlich rechtlichen Rundfunks an.
Wie sieht die Situation in anderen Ländern aus? Kann man sich da was abschauen? Ihr habt ja bestimmt schon von den Produktionen her Kontakte nach England, USA, Skandinavien ... – wie machen die das?
Pohl: Es gibt auch im Ausland ein paar ähnliche Verbände. Wir sind in diese Richtung aber noch nicht aktiv geworden, da wir im eigenen Haus erstmal genug zu tun haben.
Der Berg an Aufgaben ist groß, und wir brauchen viele Leute mit Schaufeln, um ihn wegzubekommen. Kontakte ins Ausland werden sich ergeben und sind natürlich auch wichtig für die Zukunft. Europa wächst mehr und mehr zusammen, und die drittgrößte Branche Europas*, die Kreativwirtschaft, zu der wir gehören, hat sich allen voran grenzübergreifend vernetzt. So wird es auch bei uns als Verband sein.
Was sind konkret die derzeit größten Probleme, um die es Euch geht? Und wie könnte eine Lösung ausschauen?
Pohl: Das größte Problem ist es, den Status als Selbstständige zu erhalten. Das ist unser wichtigstes Ziel. Die drohende Scheinselbstständigkeit aufgrund mangelnder Kriterien und willkürlicher Entscheidungen der zuständigen Stellen, fehlende Rechtssicherheit und unklare Richtlinien verunsichern die gesamte Branche.
Hier muss dringend etwas passieren, und die ISDV nimmt sich dieses Prozesses an, um eine Lösung zu forcieren. Ansätze gibt es einige, und es gäbe im Grunde auch einen Weg, der ohne großen Aufwand umgesetzt werden könnte, nur sieht das Gesetz dies so nicht vor.
Dem Staat geht es um die Sozial- und Rentenversicherung, die aktuell von Selbstständigen nicht zwingend gefordert wird. Man versucht nun die Selbstständigen als scheinselbstständig zu erklären, damit man diese als Zahler bekommt. Um das Zahlen werden wir nicht herum kommen.
Aber die Selbstständigkeit wollen wir erhalten, da dies der für uns beste Weg ist zu arbeiten. Als Selbstständiger kann man sich zwar auch freiwillig bei der BfA versichern, aber nicht einmal das schützt uns vor der Verdammnis, da nach Abhängigkeiten gerichtet wird und nicht nach 'zahlt seine Abgabe beziehungsweise ist anderweitig versichert oder nicht'.
Konntet Ihr schon etwas bewegen?
Pohl: Wir sind drei Monate aktiv. Da kann man noch keine Berge versetzt haben. Wir haben viele Diskussionen losgetreten – kontrovers – und das ist gut. Das brauchen wir. Das ist der Anfang für Veränderungen.
Wenn der Stein sich erst bewegt hat, und das ist passiert, dann dauert es nicht mehr lange, bis er rollt. Über 200 Mitglieder haben sich bereits in der ISDV organisiert, und die Zahl steigt ständig. Wir mischen uns in der Politik über Pressemitteilungen ein und arbeiten am Aufbau einer Lobby in Politik und Gesellschaft.
Was ist Euer konkretes Ziel für die nächsten drei Jahre?
Pohl: In drei Jahren wollen wir mit der ISDV 3.000 Mitglieder erreicht haben. Die Diskussion mit den politischen Stellen muss etabliert sein, und wir sind als Sprachrohr der Selbständigen unserer Branche bekannt – auch über unsere Branche hinaus. Pressemitteilungen müssen sich in der Tagespresse wiederfinden und nicht nur im Internet.
Statistische Zahlen über die Branche sollen vorliegen, damit die Wirtschaftskraft dargestellt werden kann. Die IHK-Kaste 'Sonstige Dienstleistung' muss eine weitere Unterteilung haben, nämlich die der selbstständigen Veranstaltungsdienstleister. Die ISDV wird als Ratgeber für Selbstständige und Start-Ups gelten und die erste Anlaufstelle sein, wenn es um Themen der Selbstständigkeit geht. Sowohl für die Branche, als auch für die Öffentlichkeit.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für den Verband.
* Laut EU-Studie „Wachstum schaffen – Märkte der Kultur- und Kreativwirtschaft in der EU“ (Dezember 2014) befindet sich die Kreativwirtschaft auf Platz 3 in Europa bei der Erwirtschaftung des Bruttoinlandsproduktes und der Anzahl der Berufstätigen.