Brachland eigentlich mitten in der Stadt, so gerierte sich der Potsdamer Platz in Berlin noch in Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“ als romantisiertes Niemandsland zwischen den aufgeriebenen Polen Ost und West.
Heute gibt’s zum Weihnachtsmarkt am Potsdamer Platz eine Kunstrodelbahn, die ganze Schulklassen jubeln lässt, hier findet man die Zentrale der Deutschen Bahn, etliche Hotels, Multiplex-Kinos, Sony – und die Philharmonie: Ein Konzerthaus, das heute hinter dem viel mächtigeren Sony-Center verschwindet, aber doch architektonisch trumpft: Schieben sich da Eisplatten gegen einander hoch, ist’s eine Art eruptiver Tektonik oder kleben unregelmäßige Schachteln aneinander? Das Haus sagt jedenfalls jedem: Hier gibt’s Kunst!
Tatsächlich wird in der Berliner Philharmonie von früh morgens bis spät in die Nacht Musik gemacht – Tag für Tag. Meistens natürlich klassische, die in der Regel ohne Verstärkung auskommt, doch immer häufiger werden Töne oder Sequenzen eingeflogen oder auch mal Einzelinstrumente hervorgehoben. Ganz oft steht ein Moderator auf der Bühne und möchte im ganzen Rund verstanden werden, ohne brüllen zu müssen. Dann muss die Tonanlage die natürliche Akustik im Saal subtil unterstützen.
Die Philharmonie selbst ist ein klassischer Konzertsaal der Moderne: Vollkommen unübersichtlich schieben sich verschiedene Ebenen gegeneinander, schichten sich übereinander. Blöcke, Treppen, Wannen. Und wohl nur die unterschiedlichen Eingänge und Eintrittskarten stellen sicher, dass hier bei Konzertbeginn doch jeder an seinem Platz sitzt.
Genau so wild ist auch die Akustik: Breite Rampen reflektieren die Töne von der Bühne, gebogene Deckensegel jagen Schallwellen durch den Raum – und so muss es sein. Denn das Ding ist eben keine akustische Katastrophe, hier gibt es weder Nachhallzeiten nach Höhlenart noch die traurige Trockenheit der Mehrzweckhalle. Da schickt jeder einzelne Musiker des Orchesters seine Töne in den Raum, bleibt für den Zuschauer ortbar als da oder dort sitzend und bereichert doch das akustische Geschehen im „Saal“ mit dem großen Gesamt-Sound.
Wie schön, sagt da wohl mancher Klassik-Freund und Technik-Muffel, dass man das so ganz ohne elektrischer Technik hinbekommt und wähnt den Saal stets boxenfrei. Doch auch hier geht ohne Lautsprecher schon lange nichts mehr. So war die neueste Tonanlage seit ihrer Fertigstellung im September dieses Jahres schon gut 90 mal im Einsatz. Zeit für eine kleine Bilanz – aber auch die erste Chance für ein kleines Zeitfenster von zwei Stunden, das der Fachpresse die Gelegenheit bot, den Raum zu sehen und zu hören.
Jetzt sitzen da die drei Tontechniker des Hauses, und Tonmeister Klaus-Peter Groß erklärt, was passiert ist: Schon vor der Sommerpause war längst klar, dass man mit der früheren Tonanlage nicht die Ergebnisse erreicht, wie sie mit einem modernen Line Array möglich sind. Also wurden verschiedene Systeme probegehört und manche wieder verworfen. Dabei gaben aber nicht nur die Boxen den Ausschlag, wie sich bald zeigte. Doch erst mal musste man ein Budget festlegen und dann die veranschlagten 300.000 Euro auch bewilligt bekommen, welche für die neue Tonanlage ausgegeben wurden.
Zum Zug kam die Berliner Firma Werner Audio, die wie viele in der Branche sowohl Verleiher als auch Installateur ist. Und zudem der Berliner Meyer-Sound- Stützpunkthändler. Was sich deshalb gut traf, weil die Wahl letztlich auf Meyer Sound fiel. Und dafür gab es eine ganze Menge von Gründen, wie die Ton-Crew des Hauses berichtet: Die Boxen – unterschiedlicher Art und Größe – klangen nicht nur ausgezeichnet, sie sind zudem vergleichsweise klein und dank der Lackierung in der Wunschfarbe des Hauses auch unauffällig bis zur Unscheinbarkeit – in einem Konzertsaal von solchem Renommee fast ein „Must“, denn da sind Boxen im Saal für viele eben immer noch ein Splitter im Lid.
Entscheidend aber für Meyer fiel ins Gewicht, dass die Enthusiasten aus Berkeley nicht nur Lautsprecher bauen, sondern längst auch Spezialisten sind für alle Arten der Systemsteuerung und Überwachung. Und genau diese 19-Zoll-Geräte gaben letztlich den Ausschlag: So hatte sich Meyer Sounds Systemspezialist Thomas Mundorf schon lange vor der Installation mit Plänen und CAD-Zeichnungen hingesetzt und zusammen mit dem SIM-3-System berechnet, was man wohl wo hinhängen muss, damit in der Philharmonie Freude aufkommt.
Außerdem erlaubt die Meyer-Sound-Software im Regie-Raum am Rande des Ganzen den Überblick über den tatsächlichen Zustand des kompletten Systems auf einen Blick. Jede Box meldet da ihren Status in Rot, Gelb oder Grün – da weiß auch der Praktikant sofort, wann Handlungsbedarf besteht. Da gibt’s inzwischen natürlich auch andere Programme, doch warum nicht gleich alles aus einem Haus, sagten sich die Berliner, dann passt es wenigstens auch wirklich problemlos zusammen.
Als der Crew klar war, was sie wo hängen haben wollten, musste man nur noch das entsprechende Zeitfenster finden, und das war natürlich der Sommer. Doch kaum ging im September die Saison wieder los, fingen bei Werner Audio die Nachtschichten an. Denn von da an konnten die Techniker erst gegen Mitternacht in die Philharmonie, um dem System den letzten Schliff zu geben. Für den musste man aber live arbeiten mit der Anlage und Erfahrungen sammeln. Und für die Fachpresse wurde es schließlich Mitte Dezember, bis der Raum mal für zwei Stunden frei war.
State of the Art
Das Besondere an dem Line Array in der Berliner Philharmonie ist, dass es eben nur eines ist: Da hängt mitten vor der Bühne eine Banane, und das Stereo-Thema kümmert die Tontechnik nicht.
„Unsere Reflektionen im Raum sind so komplex, dass sowieso sofort Raumklang entsteht“, erklärt Tonmeister Klaus-Peter Groß. Da wir ohnehin seit eh und je den einen Hängepunkt für uns haben, waren zwei Systeme für uns sowieso kein Thema. Dazu kommt, dass uns das gerichtete Signal aus einem Punkt sehr entgegen kommt. Wir haben hier ja eine Bühne in der Mitte, müssen also auch nach hinten ordentlich abstrahlen, und das ist so schon schwer genug.“
Natürlich runzelt da jeder die Stirn und spitzt erst recht die Ohren, wenn Mundorf endlich die Anlage vorführt. Sicher denken alle, hier ist Rock’n Roll kein Thema, doch die obligatorische Jennifer Warnes kommt auch aus der mittigen PA so krisp, wie man sie in den Ohren hat. Al Jarreau holt hörbar Luft und auch Sting röchelt „Roxanne“ so hin, dass zur Zentral-Anlage auch die Reflektionen des Raums das ihre beitragen. Eine ungewöhnliche Installation der bestechenden Art und ein Ansatz, über den man auch anderen Orts nachdenken könnte.
Technische Daten PA-System
Center Array: 11 M1D plus 5 UPJunior Vario
Zweites Array mit 6 M1D plus drei Arrays aus je 2 UPJ-1P über dem Chorplatz auf der Bühne hinten
Delay-Ring aus 18 UPJ-1P an sechs Positionen
Ein UPA-2P für einen der FoH-Plätze auf einem der oberen Ränge
Galileo Loudspeaker-Management-System, bestehend aus vier Galileo 616