Spinnen mit dem Licht

16.12.2022

Am 18. November 2022 ist Martemaria Scheunemann gestorben, am 21. November wurde die Showlight 2023 abgesagt ...


Martemaria Scheunemann ist tot. In der BTR 06/2022 ist von Eva Maria Fischer ein kluger und besonnener Nachruf erschienen.

Dieser wiederum hat mich an einen Besuch bei Professor Scheunemann erinnert, ein langes Gespräch und an einige Fotos, die ich damals als Chefredakteur der pma von ihr gemacht habe.

 

Am Arbeitsplatz im Münchner Prinzregententheater: Martemaria Scheunemann (Text + Fotos: Tom Becker).

Am Arbeitsplatz im Münchner Prinzregententheater: Martemaria Scheunemann (Text + Fotos: Tom Becker).


Kurz nach ihrem Tod wurde die Showlight 2023 in Fontainebleau abgesagt,
jener Treff, der für Martemaria Scheunemann zeitlebens eine Herzensangelegenheit war.

Die Showlight war auch der Anlass unseres Gesprächs, denn 2005 fand sie im Münchner Prinzregententheater statt, Martemaria Scheunemann war sozusagen die Gastgeberin. Ihre Studentinnen und Studenten waren damals allgegenwärtig, an diesen besonderen Tagen vom 21. bis 23. Mai 2005 in München.

 

Das Prinzregententheater in München: Früherer Arbeitsplatz von Martemaria Scheunemann und Schauplatz der Showlight 2005

Das Prinzregententheater in München: Früherer Arbeitsplatz von Martemaria Scheunemann und Schauplatz der Showlight 2005.


Vielleicht haben wir Presse-Menschen viel zu wenig von der Showlight berichtet,
weder im Vorfeld noch danach, aber das war ja auch eigentlich nicht zu schaffen: Da kommen 350 Licht-Enthusiasten für drei Tage zusammen zu Vorträgen, einer kleinen Messe, einem Abendessen in kleinen Gruppen, die vom Veranstalter bestimmt werden und zu einer gemeinsamen Feier am zweiten Abend. Sicher ist: Jeder, der dabei sein durfte, war begeistert und hingerissen von all den Vorträgen darüber, wer wo wie Licht gemacht hatte und warum.

Und 2005 in München war es für mich als Redakteur genau so einmalig wie 2013 in Český Krumlov: Es waren beide Male ganz besondere Momente, und eins war immer zu spüren: Licht machen ist eine große Kunst! Aber darüber berichten? Im Vorfeld oder danach?!

 

Spinnen mit dem Licht

Marthemaria Scheunemann war auf der Showlight 2001 in Edinburgh dabei und erinnerte sich in unserem Gespräch 2005 so: „Dieses Erlebnis Edinburgh war das Beste, was ich je hatte. In Edinburgh waren 350 Licht-Verrückte. Jeder, der da ist, weiß vom anderen, der spinnt genauso mit dem Licht wie ich. Und das ergibt eine Atmosphäre, die unglaublich ist.

Davon abgesehen waren die Vorträge einfach nur brillant. Es war brillant organisiert. Viele Referenten hatten nur 15 Minuten Zeit, und in diesen 15 Minuten war aber alles drin, was man über dieses Thema sagen kann.“

Nachdem die Showlight 2023 in Fontainebleau nicht stattfinden wird, weil ihre Finanzierung unsicher ist und wohl auch, weil einfach die Zeiten zu unsicher sind – und nachdem Martemaria Scheunemann nicht mehr da ist, zur Erinnerung an sie und zur Ermunterung für alle „Lichtler“ hier ein kleiner Auszug aus meinem Beitrag von 2005:

 

Martemaria Scheunemann (Foto: Tom Becker)

 
Das Büro der Professorin ist mitten im Haus und also fensterlos, doch dank des großen Oberlichts von jener schattenlosen Helle, von der fast jeder Maler träumt.

Nicht ohne Stolz zeigt die Hausherrin im Raum daneben die Reihe der nagelneuen TFT-Bildschirme, an dem die Studierenden von Auto-CAD bis WYSIWYG alle Werkzeuge beherrschen lernen. 24 von ihnen haben bislang ihr Studium abgeschlossen, wobei die Ausbildung in den ersten drei Jahren eine Art Fortbildung war, die ein Jahr dauerte, bis man es geschafft hatte, aus dem Angebot einen richtigen Studiengang zu entwickeln.

Martemaria Scheunemann leitet den Studiengang Lichtgestaltung an der Bayerischen Theaterakademie, wobei das Institut eigentlich ein Teil der Münchner Musikhochschule ist. Sie selbst hat ein deutsches Bühnenbildner-Studium an der Kunstakademie ebenso hinter sich wie ein amerikanisches Lighting-Design-Studium, bei dem die Technik im Vordergrund steht.

Bislang dominierte bei der Münchner Licht-Ausbildung mehr die Kunst, während die Berliner TH die Technik in den Vordergrund rückte. Alle zwei Jahre wollten im Prinzregententheater zwischen 30 und 50 Bewerber ins Studium einsteigen, und fünf bis acht von ihnen bekamen wirklich die Chance. Wobei die meisten von ihnen bereits einen Meister für Veranstaltungstechnik in die Schale warfen.

Im Zuge der europäischen Normierung muss man sich auch in München umstellen und künftig neben dem Master-Studiengang auch ein Bachelor-Studium anbieten.

 

„Wir sind in einem totalen Umbruch,“ erklärt Martemaria Scheunemann, „jetzt kommen neue Studenten-Generationen mit 21jährigen, während bislang die Studenten zwischen 25 und 40 Jahre alt waren. Das waren Leute, die schon zehn oder 15 Jahre am Theater gearbeitet haben.“


Dabei kommt diese Umstrukturierung im Grunde zur richtigen Zeit, weil sich die Älteren die Ausbildung schlicht nicht mehr leisten können und auch nicht mehr vom Theater für zwei Jahre freigestellt werden. „Wer heute schon Meister ist“, sagt Professor Scheunemann, „verlässt so leicht seinen Posten nicht mehr“.

Was zu erschreckenden Fehleinschätzungen führen kann, wie Martemaria Scheunemann erläutert: „Bei Berufen, die keine klar umrissene Ausbildung und kein klares Anforderungsprofil haben, denkt jeder, er sei der Größte. Dazu kommt, dass die meisten so eingespannt sind, dass sie gar keine Gelegenheit haben, die Arbeiten von anderen Leuten zu sehen. Wo doch gerade in Deutschland diese unglaubliche Variation in der Theaterlandschaft besonders faszinierend ist.“

Zwar räumt Scheunemann ein, dass viele Künstler einfach intuitiv richtig arbeiten: „Es gibt natürlich unheimlich viele Leute, die ein Auge haben und aus ihrer Erfahrung in der Lage sind, großartiges Licht zu machen, ohne das je gelernt zu haben. Aber es gibt natürlich auch oft richtig miserables Licht.“

 

Martemaria Scheunemann (Foto: Tom Becker) 

 

Die Qualität des Lichts

Blaise Pascal prägte den Spruch: „Gott ist im Detail“, und Martemaria Scheunemann erfüllt ihn in ihrem Studiengang mit Leben.

 

„Was wir wissen müssen“, erklärt sie, „ist, welche Qualität das Licht hat, und das ist eine unglaublich lange und mühsame Arbeit mit den Studenten. Wenn man beispielsweise einen Stufenlinser abgrenzt gegen einen Niedervolt-Scheinwerfer, zeigt sich, die Stufe ist warm, weich, weiblich, Sonne, sozial verträglich.

 

Der Niedervolt ist herrisch, dominiert alles, das ist seine Qualität. Dann könnte man weiter fragen, welche Pflanzen sind das? Nur um herauszukriegen, was das ist. Die Stufe ist meinetwegen ein Sonnenblumenzelt, also gleichmäßig, weich, demokratisch, der Niedervolt-Scheinwerfer ist eisig, Einzelgänger.

 

In diesen Kategorien müssen wir denken. Das heißt, das eine sind die technischen Voraussetzungen, das andere ist, wann setze ich welchen Scheinwerfer ein? Das ist die wichtigste Voraussetzung überhaupt. Und dann muss ich dramaturgisch wissen, gibt es da eine Entwicklung, gehe ich vom weichen Licht zum harten. Dann kommen auch die Farben dazu. Es gibt also eine richtige Licht-Dramaturgie.“


Was im Kopf haben

 

Martemaria Scheunemann (Foto: Tom Becker)

 

Neben diesen komplexen Inhalten geht es im Studiengang Lichtgestaltung auch um den Ausbau der Teamfähigkeit jedes einzelnen: „Man kann den Leuten beibringen, in einem Team zu verstehen, was Regisseur, Bühnenbildner und Dramaturg wollen. Das heißt, man kann ihnen beibringen, selber was im Kopf zu haben, denn wenn man selber nichts im Kopf hat, kann man auch nicht verstehen, was der andere will. Aus diesem Grund sind Dramaturgie und Musikkunde wichtige Fächer bei uns.

Was man nicht beibringen kann, ist soziales Verhalten, was ja am Theater eine der wichtigsten Sachen überhaupt ist, dass man sagt: ‚Ich bin eben kein eigenständiger Künstler, sondern ich bin ein Team-Arbeiter.‘ Das ist auch eine Überzeugungssache, weil man am Theater eben die tollsten Ideen gemeinsam mit anderen zusammen entwickelt.“

 

Martemaria Scheunemann (Foto: Tom Becker)

 

Martemaria Scheunemann ist tot, aber unvergessen. Wir können nur hoffen, dass die Showlight als eine Art Kongress, kleine Messe, Fortbildungsveranstaltung und Branchentreff bald wieder stattfinden kann. Die Licht-Verrückten brauchen sie!

 

Die Showlight

 

Lebendiger Austausch: Showlight 2005 in München

Lebendiger Austausch: Showlight 2005 in München

 

Showlight 2013 in Český Krumlov (Foto: Tom Becker)

Showlight 2013: Konzentrierte Zuhörer in Český Krumlov

 

Showlight 2023 wird verschoben

Mit großem Bedauern gibt der Showlight-Ausschuss die Verschiebung der Showlight 2023 bekannt. Die beliebte, alle vier Jahre stattfindende Netzwerkveranstaltung sollte vom 20. bis 23. Mai 2023 in Fontainebleau, Frankreich, stattfinden.

In einer Erklärung der Showlight erläutert der Vorsitzende John Allen die Gründe für diese Entscheidung:

"Nach langer Überlegung und mit viel Bedacht haben wir uns entschieden, die Showlight 2023 zu verschieben (…)

"Als wir das Budget für die Showlight in Fontainebleau im Jahr 2018 aufstellten, sah die Zukunft gut aus, aber die Kombination aus Covid, der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Lage in Europa und den unsicheren Endkosten für die Veranstaltung haben die Showlight in eine ernsthafte Gefahr des Scheiterns gebracht, sowohl was den Standard unserer einzigartigen Veranstaltung als auch die Kosten betrifft. (…)

Ich weiß, dass dies für viele ein Schock sein wird, und ich bin auch sehr enttäuscht und ziemlich niedergeschlagen, dass wir diese Entscheidung treffen mussten, aber es gibt derzeit keine Alternative.“

www.showlight.org