Tonmeister der Tenöre

05.10.2007

John Pellowe steht seit über 33 Jahren am Pult und machte den Sound für Pavarotti und die Drei Tenöre.

In der Veranstaltungsbranche trifft man sie oft: Freundliche Männer mit beschwingtem Gang und jenem gewissen Lächeln. Männer, die genau das machen, was sie am besten können und womit sie andere glücklich machen, Auftraggeber wie Publikum. Ob sie nun auf großen Opernbühnen Licht machen oder Ton für Menschen mit anspruchsvollen Ohren ...

John Pellowe ist einer dieser Männer, hat er doch das fast Unmögliche geschafft und der klassischen Musik, die fast per Definition vor jeder Lautsprecherbox die Nase rümpft, den Weg in die großen Stadien der Welt geebnet.

Pellowe begann seine Karriere 1974 als Toningenieur für die DECCA. Schon im folgenden Jahr arbeitete er das erste Mal mit Luciano Pavarotti zusammen und ging 1984 erstmals mit ihm auf Tournee. Ganze 20 Jahre lang war Pellowe Pavarottis Mann am Mischpult. Ab 1990 war er als verantwortlicher Toningenieur sowohl mit Pavarotti als auch den Drei Tenören unterwegs, stand bei ausnahmslos jedem öffentlichen Auftritt der Drei Tenöre hinter dem Pult, kümmerte sich um die Live-Übertragungen, Platteneinspielungen und Live-Mitschnitte. Das Resultat sind unter anderem drei Konzertmitschnitte: aus den römischen Caracalla-Thermen, aus dem Dodger Stadium in Los Angeles und dem Architower in Paris.

Noch nicht einmal einen Tag, nachdem Pellowe von der Trauerfeier für Luciano Pavarotti aus Modena zurück war, hatten wir in London die Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch über Klassik und Tontechnik.

DieReferenz: Was veranlasst einen Toningenieur der DECCA dazu, sein bequemes Tonstudio zu verlassen und in Konzertsälen und Stadien zu arbeiten?
John Pellowe: Nun, die Tonstudios haben wir möglichst gemieden, weil uns die Akustik nicht gefiel. Wir spielten unsere Sachen lieber in ausgesuchten Konzertsälen ein, ob in Europa oder in den USA. Tatsächlich habe ich den größten Teil meiner Recording-Karriere in den USA verbracht, in San Francisco, Chicago und im Metropolitan Opera House in New York.

DieReferenz: Was war das wichtigstes Konzert Ihrer Karriere?
Pellowe: Das war zweifellos das erste Konzert der Drei Tenöre in den römischen Caracalla-Thermen ...

DieReferenz: Sie meinen das Konzert am 7. Juli 1990 anlässlich der Fußballweltmeisterschaft mit rund 6.000 Besuchern, das von etwa einer Milliarde Menschen am Bildschirm gesehen wurde ...
Pellowe: Nicht nur das. Die Aufnahme des Konzerts ist mit 17 Millionen verkauften Platten, das zweiterfolgreichste Album, das je veröffentlicht wurde. Das haben sie auf Pavarottis Beerdigung auch noch einmal offiziell verkündet. Keiner hatte das damals geahnt.

DieReferenz: Können Sie sich noch an die damaligen Umstände erinnern?
Pellowe: Natürlich wusste keiner, dass das Ganze so erfolgreich werden würde. Für die Aufnahmen hatten wir gerade mal ein mobiles Aufnahme- fahrzeug, den Fleetwood-Truck aus London, zwei digitale 32-Spur-Multitracker von Mitsubishi und das uralte Mischpult im Fleetwood-Wagen. Zwei Stunden vor dem Konzert gab es einen großen Knall, und im Aufnahmefahrzeug wurde es dunkel. Die Stromversorgung im Wagen war hochgegangen. Es machte Peng, und alles war tot. Wir hätten das Konzert beinahe verloren. Hätte Richard Lee nicht diesen großen Transformator in seinem Truck gehabt, hätten wir das Konzert nicht aufzeichnen können. Eine halbe Stunde, bevor das Konzert anfing, waren wir wieder startklar und haben es ohne irgendwelche weiteren Pannen mitgeschnitten. Das war meine große Lektion in Sachen technische Sicherheit. Als wir das nächste Konzerte im Dodger Stadium aufgezeichnet haben, hatten wir zwei Trucks, zwei Generatoren, vier Multitracker. Wir hatten wirklich jede Menge Backup für das zweite Konzert.

DieReferenz: Es muss doch sehr schwierig sein, einen Live-Mitschnitt zu machen und dabei völlig auf die Arena-PA angewiesen zu sein ...
Pellowe: Ja. Es war aber auch die Gelegenheit, das eine oder andere Experiment zu wagen. Ich kam schließlich aus dem klassischen Recording, wo man mit omnidirektionalen Mikrofonen arbeitet, die auf einer Höhe von 3,20 m hängen. Es war eine wirkliche Herausforderung. Wir wussten, dass wir die Aufnahme mit einer Vielzahl von Mikrofonen machen mussten, anders hätte es nicht funktioniert. Aber wir hatten ja schon zehn Jahre lang Stadion-Konzerte gemacht und wussten aus Erfahrung, dass wir die Mikrofone nicht wie im Studio aufbauen konnten, also haben wir Unmengen von Schoeps-Mikrofonen eingesetzt. Ich denke, es müssen so an die sechzig gewesen sein. Und Schoeps hat für dieses erste große Konzert in Rom dankenswerterweise einen speziellen Windschutz entwickelt, den sie bis heute noch im Programm haben. Es ist ein höchst effektiver Windschutz, der einzige, der bei Open-Air-Veranstaltungen mit Kondensator-Studio-Mikrofonen wirklich funktioniert. Das war die große Herausforderung, mit Kondensator-Mikrofonen draußen im Freien zu arbeiten.

DieReferenz: Sie haben also auch eine Menge Geld in dieses Konzert gesteckt?
Pellowe: Ja, wir haben ordentlich investiert, und die Leute von Schoeps haben auch eine Menge investiert, was ich ihnen nie vergessen werde. Ich habe eine sehr gute Beziehung zu dieser Firma. Und natürlich hatten wir eine Meyer-PA, was uns davor bewahrt hat, tonnenweise Störgeräusche auf die Bühne zu bekommen.

DieReferenz: Waren die Konzerte der „Drei Tenöre“ die ersten Konzerte, die Pavarotti mit Meyer-Sound gegeben hat?
Pellowe: Nein, die Zusammenarbeit zwischen Meyer Sound und Pavarotti begann 1984, nachdem Pavarotti ein Serie desaströser Konzerte in den USA erlebt hatte. Damals hatte er gerade angefangen, Stadion-Konzerte zu geben. Schließlich kamen wir nach San Francisco, wo Roger Gans Jimmy Locke, der sich damals um Pavarottis Konzerte kümmerte, mit Meyer Sound bekannt machte. Roger Gans war es auch, der die Idee mit den Schoeps-Mikrofonen hatte. Die Kombination aus den Schoeps-Mikrofonen und dem Meyer-Sound-Equipment war absolut großartig. Das hat die Beziehung zwischen Pavarotti und Meyer Sound, die zwanzig Jahre lang ungebrochen war, zementiert.

DieReferenz: Was war dabei der ausschlaggebende Faktor?
Pellowe: Wir hatten etwas gefunden, das wirklich funktionierte, und es war nicht nur eine Frage des Equipments, wir hatten auch die Leute gefunden, die wussten, wie man all das einsetzt, es optimiert. Leute, die ein Gespür für klassische Musik und die Bedürfnisse des Künstlers hatten. Es war Lichtjahre von allem entfernt, was wir bis zu diesem Zeitpunkt gekannt hatten.

 

PA Systeme: Nicht nur für Pop-Musik


DieReferenz: Die großen PA-Systeme schienen der Rock- und Pop-Musik vorbehalten zu sein ...

Pellowe: Absolut. Aber ich habe dann sehr schnell gemerkt, dass das Meyer-System das Zeug dazu hatte, klassische Musik richtig, richtig gut klingen zu lassen. Das System war immer ‚flat’. Man konnte sich durch den ganzen Raum bewegen, und es hörte sich, wo immer man war, gut an. Es gibt andere PA-Systeme, die in der Pop-Welt auch gut verkauft werden, aber klassische Musik hört sich damit schrecklich an, was meist mit dem Frequenzgang zu tun hat. Klassische Musik ist eben nicht wie Popmusik, sie ist strukturierter und wird auf ganz andere Weise gespielt. Damit sie gut klingt, braucht man einen linearen Frequenzgang.

DieReferenz: Wie war der Kontakt zu John Meyer?

Pellowe: John hat immer genau hingehört. Er hat sich die Künstler angehört. Er hat auf ihr Feedback gehört, und er hat auf Leute wie mich gehört. Wann immer wir uns eine Neuentwicklung gewünscht haben, kam sie auch. Sie kam einfach! Der Support, den Meyer Sound bietet ist nicht umsonst legendär. Der technische Support damals, er kam von Pro Media, war fantastisch. Zu der Zeit hat John Monitto für Pro Media gearbeitet, und dass John jetzt für Meyer Sound arbeitet, ist wirklich keine Überraschung.

DieReferenz: Sie selbst sind ja mittlerweile auch bei Meyer Sound angekommen ...
Pellowe: Meine Beziehung zu John und Helen Meyer ist über die Jahre immer intensiver geworden. Und kurz nachdem Pavarotti sich von der Bühne zurückgezogen hatte, stellte ich fest, dass Meyer Sound an einem neuen, aufregenden elektro-akustischen Projekt namens Constellation arbeitete. Als mir klar wurde, was da vor sich ging, war ich völlig aus dem Häuschen. John Monitto muss diese Begeisterung wohl gespürt haben. Das war 2006 auf der Musikmesse. Und dann kam auch schon der Anruf von Helen. Eine Woche später saß ich im Flugzeug nach Berkeley. Seitdem arbeite ich für Meyer Sound. Das gehört wirklich zum Besten, was mir im Leben passiert ist. Ich bin sehr stolz darauf, bei Meyer Sound zu sein.

DieReferenz: Sie sind jetzt schon ein paar Jahre lang im Geschäft ...
Pellowe (lacht): Dreiundreißig!

 

Das Wichtigste: CD und Line Array

DieReferenz: Sie sind jetzt schon dreiunddreißig Jahre lang im Geschäft, was waren für Sie die wichtigsten Entwicklungen?

Pellowe: Je mehr ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir hier zwölf Stunden lang weiterreden ... Die CD! An der Entwicklung der CD war ich – ich sage einmal, auf der subjektiven Seite – stark beteiligt. Es ging darum, CDs gut klingen zu lassen, denn die ersten taten das nicht. Es war eben eine hochkomplexe, neue Technologie und wir machten es, so gut wir damals konnten. Sie müssen sich klar machen, dass ein A/D- bzw. ein D/A-Wandler damals, also 1979, sechs- bis siebentausend Dollar gekostet hat. Für einen einzigen Kanal! Heute kaufen sie den zusammen mit den Cornflakes. Trotzdem habe ich das digitale Zeitalter mit offenen Armen willkommen geheißen. Ich habe 1979 meine letzte analoge Aufnahme gemacht und seither keine einzige mehr. Digitale Pulte verwende ich seit sechs Jahren, und ich werde nie mehr ein analoges benutzen.

Das Zweite, das mich wirklich glücklich macht, ist dass wir jetzt Line Arrays haben, die wirklich funktionieren und mit denen sich die erstaunlichsten Dinge machen lassen. Sie können den Sound jetzt in den kleinsten Winkel eines Stadions injizieren, was früher nicht möglich war. Außerdem geht die Entwicklung in Richtung sehr viel kleinerer Produkte, wie M’elodie zum Beispiel. Ich schaue zum Lautsprecher hoch und denke mir, das kann nicht wahr sein, das ist nicht real.

DieReferenz: Dann lassen Sie uns doch einmal über Ihr Mischpult reden.

Pellowe: Ich bin ein großer DiGiCo-Fan. Ich mag das DiGiCo D5 sehr. Es ist ein brillantes Pult, sehr verlässlich, sehr gut. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich wahrscheinlich für DiGiCo entscheiden. Aber ich will fair sein. Ich habe all die Jahre über sehr guten technischen Support von Yamaha bekommen und viele Yamaha-Pulte verwendet. Und guter technischer Support ist so ungefähr das Beste, was man sich von einer Firma wünschen kann.

Ich mag das digitale Zeitalter einfach. Es ist aufregend und kommt auch den fauleren Naturen entgegen. Man lädt sich eine ganze Show vom Pult und nimmt sie mit. Das bringt mich natürlich gleich zur ‚consistency’. Pavarotti war sehr kritisch, was seine Bühnenmonitore anging, da war es gut, die Settings von einem Auftritt zum nächsten übernehmen zu können. Und zu wissen, dass sie wirklich identisch sind, war mir sehr wichtig.

 

Immer das Bestmögliche versuchen

DieReferenz: Da Sie gerade wieder Luciano Pavarotti erwähnen ... Sie haben damals die Konzertsäle verlassen und sind in Stadien gegangen, die nun wirklich nicht für klassische Konzerte erbaut worden waren. Das war ein großer Schritt.

Pellowe: Ja. Und einige dieser großen Veranstaltungsorte stellten ganz zwangsläufig einen Kompromiss dar, weil sie so groß und absolut nicht auf Akustik ausgelegt waren. Wir haben immer versucht, mit den Mitteln, die uns zur Verfügung standen, das Bestmögliche zu erreichen und bekanntermaßen hat sich die Technik im Laufe der Zeit auch ständig verbessert.

DieReferenz: Noch eine letzte Frage zu Pavarotti, Domingo und Carreras. Sie haben ja mit allen dreien gearbeitet. Gab es große Unterschiede zwischen den dreien?

Pellowe: Seit Mr Pavarotti letzten Donnerstag gestorben ist, hat man mir diese Frage vielleicht hundert Mal gestellt. Und ich antworte immer das Gleiche: genau wie man Mozart und Beethoven nicht vergleichen kann, kann man auch diese drei vollkommen verschiedenen Künstler nicht vergleichen. Ich weiß, dass es eigentlich eine sonderbare Idee war, drei Tenöre zusammenzuspannen. Manche dachten wohl, dass könne einfach kein gutes Repertoire ergeben. Aber es hat funktioniert! Sie waren drei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, jeder mit seinen eigenen Stärken und Schwächen. Aber ich werde da ganz bestimmt nicht Partei beziehen, auch wenn meine Beziehung zu Pavarotti natürlich die engste war. Ich bin einfach nur stolz, dass ich mit ihnen arbeiten durfte.

Die Referenz: Dennoch waren Sie immer auch einer gewissen Kritik ausgesetzt.

Pellowe: Ich denke, wir - und vor allem Pavarotti - haben zwei Dinge erreicht. Wir haben die Oper zu Menschen gebracht, die nie zuvor Opernmusik gehört hatten. Ich denke, daran besteht kein Zweifel. Und das zweite, das Pavarotti gelungen ist: Er hat die Kluft zwischen der Pop- und der Opernwelt geschlossen. Nicht nur mit Shows wie „Pavarotti and Friends“ sondern vor allem mit den Auftritten der Drei Tenöre und seinen eigenen Stadiontourneen, wo auch Stücke gespielt wurden, die genau genommen nicht zum klassischen Repertoire zählen, neapolitanische Volkslieder zum Beispiel. Ich werde mich dafür ganz bestimmt nicht entschuldigen. Ich habe am Donnerstag mit Tony Hall gesprochen, dem Direktor des Covent Garden Royal Opera House, und er stimmt mir da vollkommen zu.

Es mag da draußen ein paar Snobs gegeben haben, denen nicht gefallen hat, was wir getan haben, aber das Endergebnis war ein absolut positives. Es gibt jetzt weit mehr junge Leute, die sich für Oper interessieren. Wir erleben weltweit eine Renaissance der klassischen Musik, das ist offensichtlich. Die Belege dafür sind überwältigend. Und noch eines: man muss sich nur einmal die vielen tausend Menschen ansehen, die letzte Woche in Modena zur Trauerfeier gekommen sind, die viele jungen Leute, die dabei waren. Dieser Mann hat uns nur Gutes hinterlassen.

Tom Becker: Mr Pellowe, herzlichen Dank für dieses Gespräch.