Come Together statt Abstand halten

13.05.2020

Ein Interview mit Alexander Pietschmann von der Adam Hall Group mitten in der Corona-Krise.


Alexander Pietschmann ist seit 2006 bei der Adam Hall Group.
Seit 2013 leitet er als CEO die Firma zusammen mit Markus Jahnel (COO) und ist damit verantwortlich für die Arbeitsplätze von rund 250 Mitarbeitern weltweit.

Die Adam Hall Group steht mit Marken wie LD Systems, Cameo, Palmer und Gravity vielleicht (noch) nicht ganz oben auf dem Rider der großen Touren, Theater- und Festinstallationsprojekte – an den Defender-Kabelbrücken kommt jedoch niemand vorbei.

Aber die großen Stadion-Touren sind ja nur die Spitze des Eisbergs, und viele Kunden gehen gleich zu Adam Hall, wenn es darum geht, Veranstaltungen umfassend technisch zu begleiten, weil man hier qualitativ hochwertige Lautsprecher, Lampen, Stative und alles darum herum findet. Und welcher Case-Bauer kauft hier nicht seine Beschläge?!

Wie geht es einem mittelständischen Betrieb, der eben noch mitten in der Expansionsphase steckte, mittlerweile weltweit agiert und vor kurzem in den - für unsere Branche - gigantischen Neubau des Experience Centers inklusive Entwicklungszentrum investiert hat und plötzlich von einer Pandemie ausgebremst wird?

 

Alexander Pietschmann, CEO der Adam Hall Group

Alexander Pietschmann, CEO der Adam Hall Group

 

Die frühe Absage der Prolight + Sound

 

Tom Becker: Schon am 26. Februar habt ihr als eine der ersten Firmen die Prolight + Sound abgesagt, die ja erst am 31. März angefangen hätte. Wieso hast Du das so früh gewusst?

Alexander Pietschmann: Erst mal wurden zu der Zeit ja schon die ersten Messen abgesagt oder verschoben, wie die Mobile World Barcelona aber auch die Light + Building in Frankfurt, mit einer sehr ähnlichen, internationalen Aussteller- und Besucherstruktur wie die Prolight + Sound. Mit dem Ausbruch in Italien war dann eigentlich auch klar, dass wir ein europäisches Problem haben werden.

So eine Messe bedeutet unglaublich viel Organisation, und wir wollten nicht vier Wochen in die falsche Richtung rennen – nur um dann festzustellen, dass die Messe nicht stattfindet.

 

AHG Gebäude

 

Der Stand der Dinge in der Krise

 

Becker: Ihr seid mittlerweile 250 Leute in der Adam Hall Group. Wie ist der Stand der Dinge?

Pietschmann: Natürlich hat uns die Pandemie massiv getroffen. Wenn dein Firmenslogan "Experience Event Technology“ heißt und das Betriebsrestaurant "Come Together", dann sagt das schon viel darüber aus, wie stark wir von der derzeitigen Situation betroffen sind.

Unsere Mission ist es, die Welt etwas freundlicher zu gestalten. Um dies zu erreichen, schaffen wir innovative und benutzerfreundliche Lösungen für Veranstaltungstechnik mit hervorragender Performance, die es mehr Menschen ermöglicht, ihre Ideen und Emotionen klanglich und visuell auszudrücken und unvergessliche Momente miteinander zu teilen. Aktuell lautet die Vogabe jedoch: Abstand halten!

 

Becker: Wovon reden wir konkret?

Pietschmann: Ab Mitte März ist das Geschäft massiv eingebrochen eine Situation in der wir uns noch nie befunden haben.

Die Veranstaltungsfirmen haben noch massivere Einbrüche mit zum Teil 100 Prozent Umsatzrückgang. Wir haben wenigstens noch ein paar andere Bereiche, darunter Retail, Installationsprojekte, und den Flightcase-Bau. Doch letztlich hängt alles mit allem zusammen. Selbst für die Integratoren war es schwierig, erst mal in die Locations zu kommen. Darf man das überhaupt? Im April herrschte diesbezüglich übergreifend viel Unsicherheit.

 

Becker: Und die Kurzarbeit?

Pietschmann: Auch wir mussten Kurzarbeit anmelden, zum ersten Mal seit unserer Gründung 1975. Selbst während der Finanzkrise 2008 haben wir weiter gemacht, ohne staatliche Hilfsinstrumente in Anspruch zu nehmen. Aber wenn dir dein Geschäft in so einer kurzen Zeit massiv einbricht, bleibt leider kaum etwas anderes übrig.

Ich bin sehr dankbar, dass dieses Instrument von der deutschen Bundesregierung in kürzester Zeit überarbeitet und an die aktuelle, außergewöhnliche Situation angepasst wurde. Das Wichtigste bei Adam Hall sind unsere Mitarbeiter, und wir wollen da gemeinsam durch.

 

Alexander Pietschmann

 

Becker: Womit hattest Du den meisten Stress?

Pietschmann: Das war im Februar und März, da mussten wir die Hygiene-Regeln und -Pläne aufstellen, dann die technische Umsetzung mit dem Homeoffice. Wie gehen wir das an? Wie können wir die Abstände einhalten? Wie gestalten wir den Schichtbetrieb in der Logistik mit wechselnden Teams?

Hinzu kommt: Wir steuern von Neu-Anspach aus das Geschäft in ganz Europa. In jedem Land gilt eine andere Regelung, wie die Leute in Kurzarbeit gehen können. Unser Büro in Spanien zum Beispiel musste ebenfalls geschlossen werden. Und all diese Prozesse liefen nicht gleichzeitig ab, sondern verzögert – mal zwei Wochen vorher, eine Woche später oder wie auch immer.

Am stärksten wogen jedoch die Fragen: Wie sichern wir die Arbeitsplätze - und vor allen Dingen: Wie bleiben wir alle gesund und verhindern Zustände wie in Norditalien?

Niemand wusste am Anfang, wie gefährlich das Virus wirklich ist. Erst hieß es, jeder steckt drei an, dann haben wir in sehr schneller Zeit Millionen Infizierte und bis Sommer im Minimum 100.000 Tote, und wenn es ganz schlimm kommt, eine Million.

 

Becker: Das waren die Zahlen, die erst mal kursierten …

Pietschmann: Das ist auch der Punkt, wo ich es ganz unangebracht finde, wie manche jetzt gegen die Politik schimpfen. Die Abwägung zwischen dem Schutz von Leben und Gesundheit einerseits und dem Schutz von Rechtsgütern mit Verfassungsrang andererseits ist unglaublich schwer.

Was willst du denn entscheiden, wenn dir deine Experten und das Robert Koch Institut im März sagt: Hunderttausend oder eine Million könnten sterben. Das waren die Daten. Mittlerweile hat sich die Datenlage differenziert und präzisiert, aber das waren die Prognosen in einer Phase, als es in Regionen wie Bergamo bereits katastrophale Zustände gab. Das war ein Reflex und ein richtiger Reflex.

Ab jetzt wird die Sache kompliziert, und jeder in der Politik merkt, dass Runterfahren einfacher ist, als kontrolliert wieder alles hochzufahren. Ich bin trotzdem froh, diese Pandemie in Deutschland zu erleben und nicht in anderen Ländern mit deutlich schlechterem Gesundheitswesen und scharfen Ausgangsbeschränkungen. Unsere Kollegen und Marktbegleiter im Ausland kämpfen da mit sehr vielen Herausforderungen und noch größeren Existenzängsten.

 

Becker: Wie dem auch sei, im Moment nützt uns diese Diskussion wenig …

Pietschmann: Ja genau. Man muss einfach feststellen, dass wir in der westlichen Welt nicht auf Pandemien vorbereitet sind. Jetzt hat die Politik das Problem, die einzelnen Branchen kontrolliert wieder hochfahren zu müssen, ohne sich von der Judikative ein Urteil nach dem anderen einzufangen.

 

Becker: Stehen wir nicht schon jetzt vor einem riesigen Schaden?

Pietschmann: Das Problem ist, dass die "Medizin", die gegen die Ausbreitung des Virus verabreicht wurde, einen ungeheuren Kollateralschaden verursacht hat – in allen Lebensbereichen. Vom Sozialen bis zur Wirtschaft. Die ganze Welt steht vor einer zu erwartenden gigantischen Rezession, das ist wirklich dramatisch.

 

Harte Zeiten

 

Vortrag von Alex Pietschmann bei Adam Hall

Alexander Pietschmann beim Vortrag in Sachen Live Entertainment: Alle Prognosen für die Veranstaltungsbranche waren gut.

 

Becker: Und was wird aus der Veranstaltungsbranche?

Pietschmann: Hartnäckiger ignoriert als die Kunst- und Kreativbranche wurden in dieser Krise wohl nur die Kinder. Wir sind in dieser Gemengelage als Branche anscheinend erst mal ein kleines Licht.

Obwohl die Zahlen zur Wirtschaftsleistung mit 100,5 Milliarden jährlich Wertschöpfung - das sind drei Prozent vom BIP - und 1,7 Millionen Arbeitsplätzen hier eine andere Sprache sprechen. Wir dringen nur ganz schwer durch, da die anderen Lobby-Verbände ganz massiv die Arme spreizen.

Anders ist es wohl auch nicht zu erklären, dass Autohäuser bereits wieder ab 20. April aufmachen durften und die Autoindustrie nach Kaufprämien schreit. Das ist wahrscheinlich das letzte Problem, das irgendjemand jetzt hat, aber da sieht man halt, wo die Prioritäten bei uns im Land liegen.

Wir müssen jetzt offensiv für die Kultur- und Kreativwirtschaft eintreten und mit Initiativen auf uns und unsere Perspektivlosigkeit aufmerksam machen.

Unter www.event.tech haben wir auch sehr schnell ein Talkformat gestartet und eine Link-Sammlung veröffentlicht. Hier wird noch mehr kommen in der Zukunft.

Es muss kommunikativ viel getan werden, damit die Entscheider davon überzeugt sind, dass sichere Events möglich sind. Das Konzept des R.I.F.E.L. Instituts ist ein sehr guter Anfang und nennt klare Hygienemaßnahmen in der Veranstaltungsbranche. Hinsichtlich der Kapazitätsproblematik, die sich auf rund 25 Prozent reduzieren würde, braucht es kreative Ideen, um diese deutlich zu erhöhen. Sonst wird es wie in einem Großteil der Gastronomie: Man darf zwar öffnen, macht dann aber noch mehr Minus.

 

Becker: Und Alex, wie geht es weiter?

Pietschmann: Für unsere Branche muss es ein Extra-Hilfspaket geben, denn wenn unsere Kunden und Künstler ein De-Facto-Berufsverbot ausgesprochen bekommen, musst du als Regierung auch einen Weg heraus aufzeigen.

Die aktuellen Soforthilfeprogramme sind nur bis Juni konzipiert, bei Veranstaltungsverboten bis 31. August. Das ist für die meisten Künstler unbrauchbar. Mittlerweile gibt es bereits offizielle Absagen bis in den Oktober hinein. Welcher Tournee- oder Eventveranstalter plant denn aktuell Konzerte im September, wenn gleichzeitig schon vergleichbare Events abgesagt werden mussten.

Auf der anderen Seite sollte man die jetzige Zeit so gut wie möglich nutzen, an seiner Firma zu arbeiten, sich weiterzubilden und Projekte anzugehen, die schon länger brachliegen.

 

Wie soll man planen?

 

Er glaubt an Events: Alexander Pietschmann

 

Becker: Aber was heißt das jetzt konkret für euch als Adam Hall Group?

Pietschmann: Ganz ehrlich: mit den Informationen, die mir aktuell vorliegen, kann ich das gar nicht genau sagen. Bis 31. August ist mehr oder weniger alles verboten. Stand jetzt gehen wir also ab dem 1. September von einer Normalisierung aus. Eventuell sind im B2B-Messebereich die ersten Lockerungen möglich.

 

Becker: Heißt das, dass ihr jetzt die Monate Mai, Juni, Juli und August mehr oder weniger alles geschlossen habt?

Pietschmann: Nein. Aktuell sind wir mit etwa 50 Prozent vor Ort in Schichten, um das Ansteckungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Unser wichtigstes Ziel ist es, alle Mitarbeiter gesund an Bord zu halten. Wir haben sogar neue Mitarbeiter eingestellt. Wir nehmen uns sehr viel Zeit, die richtigen Personen zu finden. Aus diesem Grund möchte ich auch niemanden gehen lassen – ob Entwickler, Logistiker oder Sales Manager.

Wir bieten als Adam Hall Group ein attraktives Eventtechnik-Portfolio mit sehr schnellem Service. Da die “Post-Corona-Budgets" wohl etwas geringer sein werden, muss sich jeder Dienstleister überlegen, wie er trotzdem Qualität abliefern und seine Fachkräfte und Freelancer weiterhin fair bezahlen kann.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unseren Lösungen bei den Themen Nachhaltigkeit und faire Bezahlung eine wichtige Rolle einnehmen werden. Es gibt Firmen, die bereits jetzt diesbezüglich auf uns zugekommen sind, um zu besprechen, wie man in Zukunft noch enger zusammenarbeiten kann.

 

Becker: Nochmal zur Nachhaltigkeit, denn das ist ja immer auch dein Thema ...

Pietschmann: Aus der aktuellen Situation heraus muss man rückblickend ganz klar sagen: Nicht jede Veranstaltung, die gemacht wurde, war unabdingbar und sinnvoll. Da fragt man sich schon: Muss das denn wirklich sein? Oder kann man das nicht auch digital, kompakter oder regionaler lösen?

Es muss nicht mehr alles immer schneller und größer sein. Die menschliche Begegnung ist das, was das Leben lebenswert macht. Du kennst ja meinen Vortrag, den ich dazu auf den Event-Tech-Days gehalten habe.

 

 

Becker: Und jetzt heißt es statt dessen: Abstand halten …

Pietschmann: Wir halten jetzt Abstand, weil wir uns so gegenseitig schützen können. Gleichzeitig müssen wird das Wir-Gefühl stärken, um nicht auseinanderzudriften.

Neben wichtigen Trends wie Videokonferenzen oder der Digitalisierung in Schulen und der öffentlichen Verwaltung hoffe ich, dass wir als Gesellschaft eine zentrale Lektion gelernt haben: die Wertschätzung der persönlichen Begegnung.

Wir haben diese Freiheit des persönlichen Kontakts als selbstverständlich genommen, dieses Unbeschwerte, und ich hoffe, wir werden das noch viel bewusster genießen, wenn es mal wieder losgeht. Nichts gegen die derzeitigen Wohnzimmer-Konzerte, aber das ist halt kein Ersatz …

 

Becker: Oft ist es eine große Selbstausbeutung der Künstler, denn die setzen sich jetzt daheim hin und spielen uns ohne jede Gage etwas vor …

Pietschmann: … Und YouTube freut sich.

Musiker verdienen mittlerweile nur mit Live-Entertainment wirklich Geld. Bei Spotify bekommst du für eine Million Streams rund 4.000 Euro, bei YouTube 600 Euro. Eine Million - das muss man erst mal schaffen. Und dann sagen Politiker: "Überlegt Euch doch mal digital was!" Die großen Tech-Konzerne freut es natürlich ...

 

Becker: Das haben wir allerdings nicht erst seit Corona.

Pietschmann: Stimmt, das ist nichts Neues, aber es ist jetzt noch schlimmer geworden, da Live-Entertainment verboten ist. Die Frage lautet: Wie überleben die Künstler, wie überleben die Locations?

 

Produkte für die Krise

 

Abstands-Klebebänder

 

Becker: Noch mal zurück zu Euch als Hersteller und Vertrieb, ihr importiert ja auch viele Dinge. Wie geht denn das überhaupt noch?

Pietschmann: Wir haben relativ gut disponiert, die Lager sind gut gefüllt, wir haben kein Supply-Chain-Problem. Wir entwickeln die meisten Produkte hier, aber stellen sie weltweit her.

Wir haben sehr schnell ein paar praktische, sinnvolle Zubehörprodukte entwickelt, die zur Krise passen. Zum Beispiel Klebebänder – die Social Distance Tapes – die es in sechs Sprachen gibt oder die Hygiene-Desinfesktionsspender von Gravity.

 

Desinfektionshalter

 

Becker: Gehst Du selbst denn jetzt noch ins Büro?

Pietschmann: Ich bin gerade im Büro, arbeite aber tageweise von zu Hause.

 

Experience Center der Adam Hall Group

 

Becker: Jetzt habt Ihr selbst ja in den Neubau, das Experience Center, eine Menge Geld investiert in die Zukunft. Hättet Ihr das gemacht, wenn Ihr gewusst hättet, was da kommt?

Pietschmann: Jede Firma muss sich nun fragen: funktioniert mein Geschäftsmodell noch? Ich bin von unserem weiterhin absolut überzeugt!

Wenn ich lese, dass manche Firmen nach vier Wochen Krise sagen “Ich kann nicht mehr, ich bin pleite”, dann ist da etwas faul.

Jedes Geschäft muss doch wenigstens ein bisschen Gewinn machen und Rücklagen bilden, damit man etwas überbrücken kann. Jetzt erst recht mit den zusätzlichen Hilfsmitteln, die es gibt.

Wenn das aber über mehrere Monate anhält, gibt es natürlich ein Problem. Selbst wir halten nicht ewig durch, aber wahrscheinlich länger als die meisten. Um zu deiner eigentlichen Frage zu kommen: Ja, wir haben viel finanziert, doch das sind langfristige Investitionen.

 

Alexander Pietschmann

 

Becker: Nun macht die Digitalisierung im Moment schon einen großen Sprung nach vorn …

Pietschmann: Wir haben in der Krise viele neue Dinge entdeckt. Vieles funktioniert online erstaunlich gut.

Das betrifft vor allem Arbeitsweisen und Strukturen in der Zusammenarbeit. Hier entstehen gerade viele neue Ideen und Wege. Events werden wir eher hybrid denken und nicht mehr strikt zwischen offline und online unterscheiden.

So werden wir zum Beispiel die diesjährigen Eventtech-Days am 29. und 30. September in Neu-Anspach digital begleiten. Dies müssen wir sogar, da wir nicht hundertprozentig wissen, ob wir das wirklich vor Ort machen können.

 

Becker: Abschließende Frage: Lohnt sich da denn der Glaube an das Live-Entertainment und unsere Branche?

Pietschmann: Kurz und knapp – Ja!

 

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