Die Power des Joe Cocker

14.11.2007

Mit Herzblut und Power tourt Cocker derzeit mit vier Trucks und vier Bussen quer durch Europa. Mit dabei: Ton-Mann Chris Madden und The Venue.

Am 27. und 28. März 1970 machte ein Mann in New York zwei mal hintereinander das Fillmore East voll, der nicht mit eigenen Songs brillierte, aber damals schon „Honky Tonk Women“, „Bird on the Wire“ und „She Came in Thru the Bathroom Window“ so rüber brachte, dass News Yorks großes Haus aus den Nähten platzte. Und von den Stones über Leonard Cohen bis zu den Beatles brachte er alle locker unter seinen Hut: „Stell dir Louis Armstrong und Bill Ramsey vor, nur verrosteter, dann hast du’s ...“, hieß damals die Erklärung.

Auf dem Cover des da produzierten Live-Albums „Mad Dogs & Englishmen“ zeigt der junge Mann mit schwarzer Löwenmähne die mächtigen Oberarmmuskeln im ovalen Porträt. Und nach der Show – und dem Album – wurde nicht nur aus dem Band-Mitglied Leon Russell ein Weltstar.

Gute 37 Jahre später kommt Joe Cocker auf die Bühne im dunklen Anzug, doch sein Rock’n’Roll entspringt nicht nur der seitdem mit manchem Drink gut geölten Stimme. Noch immer sind wir alle schon am Ende des ersten Songs sicher, „we are all right ...“ Und dann zieht er auch sein Jackett aus, und uns da unten vor der Bühne wird’s mächtig warm. Denn da oben steht einer, den mehr umtreibt als sein Kontostand.

Der Mann ist – man kommt um das blöde Wort nicht herum – die Rampensau schlechthin: Er singt sich um Kopf und Kragen, als müsste er es jedes Mal wieder jedem beweisen, dass der Unterschied zum heute Normalen darin liegt, dass es darauf ankommt, jeden Ton, jeden Akkord und jeden Takt richtig ernst zu nehmen.

Das heißt auch, der Mann flüstert nicht ins Mikrofon, der gibt alles, und der Mensch am FoH-Platz, der da vor seinem Mischpult steht, spielt ganz offenbar mit in der Band. Da kommt schon mal ein Luftgitarrensolo, ein kleiner Schrei oder ein Luftsprung, wenn da vorn Cocker aus dem Kehlkopf krächzt. Chris Madden steht hinter der Konsole, und im Gespräch vor dem Konzert ist er so britisch cool, wie man sich’s nur ausmalen kann.

Die Oberschwabenhalle in Ravensburg ist ungefähr so charmant wie ihr Name: Beton und Multifunktionalität, um den Eingang viel Glas und bei Cocker ein paar bunte Absperrgitter. Der örtliche Veranstalter ist die Koko Entertainment aus Konstanz, und vor Ort läuft alles fast völlig reibungslos, mal davon abgesehen, dass man sich offenbar erst relativ spät entschlossen hatte, auf die Vorgruppe zu verzichten, worunter vor Ort niemand leiden musste.

Das Haus ist gut voll, und jeder ist glücklich. Für Chris Madden ist’s ein Ort unter vielen, denn an diesem 31. Oktober 2007 ist das ganze Team in vier Bussen schon einige Wochen unterwegs, und es ist noch nicht mal Halbzeit. Madden hat Frau und Kinder in England seit mehr als sechs Wochen nicht mehr gesehen. Dabei ist diese europäische Hallen-Tour nur ein Teil der Joe-Cocker-Welttournee.

Joe Cocker selbst wird nicht etwa per Jet abends eingeflogen, sondern ist auf der ganzen Strecke dabei, auch wenn er einen Bus für sich alleine hat. Und die komplette Technik hat die 22-köpfige britische Crew auch auf der ganzen Tour dabei, vom Rig über Ton und Licht bis zu jedem anderen Teil des Konzerts. „Wenn wir kommen, ist da eine leere Bühne“, erklärt Madden, wobei sein Aufbau natürlich erst beginnt, wenn die Hängepunkte gesetzt sind, die Bühne fertig ist. Das Material kommt von der englischen Produktionsfirma Concert Sound und füllt vier mächtige Trucks. Diese Produktions-Firma stellt auch den Großteil der Crew, doch Madden und sein Kollege Niall Slevin am Monitor-Pult arbeiten direkt für Joe Cocker.

Am FoH-Platz thront Madden vor einer Venue-Konsole von Digidesign, dem Pult seiner Wahl. Und diese hat er sich nicht leicht gemacht, wie aus der Fachsimpelei über Mischpulte deutlich wird, auf die er sich nur zu gern einlässt: Der Mann ist praktisch in einem Tonstudio groß geworden, und schon von daher hat er alle gängigen Pulte kennen gelernt. Sicher war auch er skeptisch, als die digitalen Konsolen auftauchten, klar hat er dann auch alles andere probiert, von InnovaSON über Yamaha bis zu DiGiCo.

Madden ist Profi, also schätzt er auch an jedem Pult andere Details und rümpft bei keiner aktuellen Digitalkonsole die Nase. „Dafür sind die generell einfach zu gut. Man kann damit wirklich arbeiten!“, versichert er. „Ich komme mit manchen Konsolen nicht so klar wegen des Touch Screens. Das ist einfach nicht mein Fall.“ Also hat er sich für Digidesign entschieden. und das hat auch noch andere Gründe: So nützt er die Pult-Effekte – vor allem als PlugIns – voll aus, selbst Joe Cocker hat kein externes Effektgerät, statt dem üblichen Lexicon-Hallgerät kommt hier alles aus der Konsole. „Für mich macht das wenig Sinn, ein Digitalpult mit externem Effekt-Rack zu betreiben, dafür sind die internen Effekte ja da“, erklärt Madden.

Zudem nimmt Madden alle Aufnahmemöglichkeiten der Konsole mit. Digidesign, das sind nun mal Pioniere des Harddiscrecordings, und so schneidet auch Madden problemlos jeden Ton mit, der da von der Bühne kommt. In perfekter Qualität, Spur für Spur. Dazu nutzt er ein Rack mit einem Protools-System, das direkt an die Konsole angeschlossen ist und 64 Spuren aufnehmen kann. Das System routet automatisch 48 Mikrofonkanäle des Pultes, 16 weitere Kanäle stehen zur freien Verfügung. 42 Signale kommen von der Bühne, dazu hat Madden sechs Umgebungsmikrofone installiert für den Saal-Sound.

Madden hat seinen kompletten Mix auf ein paar Spuren gelegt, dazu ein paar Effekt-Returns. Ein Kult-Album wie „Mad Dogs & Englishmen“ hat er so am Ende der Tour ganz nebenbei auf der Festplatte parat. Ein ganzer Abend ist am Ende eine Datei mit rund 45 GB - und das bei bester Qualität! Mit diesem Playback-Material am FoH-Platz braucht Madden die Band nicht mal zum Soundcheck, denn er hat sie ja auf allen Kanälen der Konsole so, als säße jeder selbst am Platz. „Das Mikrofon-Signal geht auf der Bühne in das Stagerack“, erklärt Madden, „und von da kommt es über ein digitales Multicore hier ins Pult und auch direkt ins Protools, bevor ich irgendetwas verändert habe. Und dieses Signal nutze ich dann für den Soundcheck, es ist ja genau das, was vom Mikrofon kommt.“

Der Sound des Pultes

Auch in Sachen Geschwindigkeit ist Madden von dem Digidesign-Pult begeistert: „Das Tempo, in dem man hier arbeiten kann, ist enorm. Auch, wie einfach die Bedienung letztlich ist, das ist schon sehr gut. Schließlich ist das meiner Meinung nach das am besten klingende Digitalpult überhaupt.“

Auf die Frage, wie er zu einer gültigen Einschätzung des Pult-Sound kommen wolle, wo doch der Sound im Raum viel mehr von der PA und dem Saal selbst beeinflusst wird, erklärt er seine Vorgehensweise: „Wenn du ein Mikrofon, das du kennst, steckst und einen Kopfhörer aufsetzt, den du kennst, und dann etwas sagst oder singst mit deiner eigenen Stimme – und das an einem Tag richtig gut klingt und an einem anderen nicht so gut, dann ist die Konsole der einzige Unterschied.“

Joe Cocker, der Mann mit der rostigen Stimme, ist auch in Sachen Mikrofonie entspannt und wenig kapriziös: Er hat das gleiche dynamische Sennheiser 935 vor sich stehen wie seine Sängerinnen auch. Drahtgebunden und auf dem festen Mikrofonständer wohlgemerkt. „Joe Cocker rührt nie sein Mikrofon an“, postuliert Madden, und natürlich stimmt das, wie sich später herausstellt.

Während sich Madden in Sachen Mischpult absolut festgelegt hatte auf das Venue-Pult, war er in Sachen PA kompromissbereit. Vier Systeme konnten die Verleiher in ihr Angebot nehmen, EAW machte das Rennen, und mit diesem 760er-System ist Madden denn auch sehr zufrieden. „Ich habe das System schon früher eingesetzt und ich werde es wieder verwenden, es ist sehr gut, eigentlich meine Lieblings-PA“, betont Madden. Damit das Line Array im Saal auch richtig ausgerichtet ist, gibt es den Systemingenieur Dave Dixon, der für das Curving und die Position der „Bananen“ zuständig ist. „In neun von zehn Fällen übergibt er mir die Anlage“, so Madden, „und ich kann nur noch sagen, fantastisch! Ich habe einen Output-EQ im Pult, aber der ist völlig neutral.“

Zu laut mag Madden es nicht. Schon darum hat er am Pult sein persönliches kleines Messgerät stehen, um in jeder Halle vergleichbare Werte zu haben. Und die jederzeit ablesen zu können: „Da kann man sich im Lauf des Abends schon mal vertun“, erklärt er, „besonders wenn das Publikum mitgeht und immer lauter wird. Damit mir da nichts passiert, schaue ich immer mal wieder auf die Werte. 100 dB sind gut, vielleicht 101. Begeisterung ist gut, powerfull ist gut, nicht laut.“

Beim Monitoring setzt die Joe-Cocker-Tour fast komplett auf In-Ear. Wobei der Schlagzeuger auf einer schwingenden Platte sitzt und auch noch von ein paar Wedges angeblasen wird. Joe Cocker selbst arbeitet als einziger der Band ganz ohne Knopf im Ohr mit klassischen Wedges. Diese Power gehört für ihn einfach dazu.

Ravensburg mag ja ein verschlafenes Städtchen sein, gelangweilt hat sich bei Joe Cocker ganz bestimmt keiner, und alle hätten gern die ganze Nacht lange immer neue Zugaben herausgefordert, doch das ließ der Zeitplan nicht zu: Um 2 Uhr war man wieder auf der Straße, nächste Station: Bielefeld.